Der Inle See gehört in Myanmar neben Yangon, Mandalay und Bagan zu den größten Touristenattraktionen des Landes. Aber den Wenigsten dürfte bekannt sein, dass es sich um einen Ort handelt, bei dem Italiener wiederaufleben.
„Wenn Dein Vater mal zwei Tage lang nicht seine Pasta bekommt, wird er krank“, pflegte meine Mutter mir zu erklären, warum wir jeden Tag Pasta essen müssten. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass es sich tatsächlich mit der Mehrzahl der Italiener so verhält, und bin schließlich selbst Opfer dieses Problems geworden.
Das ist im Grunde genommen ja auch kein Problem, kann aber zu einem ebensolchen werden, wenn ein Italiener in die Ferne reist, fern ab von seinem Herd oder Lieblingsrestaurant um die Ecke. Speziell in Asien habe ich die Erfahrung gesammelt, jedem noch so verlockend klingendem „Weserve-pasta-Angebot“ aus dem Weg zu gehen, weil es sich immer wieder um eine mehr experimentelle Interpretation der italienischen Küche gehandelt hatte. Und so habe ich schnell den allgemein gültigen Grundsatz „When in Rome, do as the Romans do“ in „When in Asia, eat what the Asians eat“ geändert. Aus Fehlern lernt man, denke ich. Doch bin ich immer wieder erstaunt, daß die meisten Italiener es trotzdem immer aufs Neue versuchen. „Madonna santa“, höre ich sie dann immer vom Nachbartisch schimpfen: „Kellner, die Pasta ist nicht al dente und wo bleiben die antipasti? Die antipasti werden vor dem Hauptgang serviert!“ Ich kann mir mein Schmunzeln nicht verkneifen.
Ich bin in Nyaung Shwe am Inle See. Der See ist berühmt für seine Fischer die eine Bein-Rudertechnik entwickelt haben. Sie stehen auf nur einem Bein am Heck des Kanus und paddeln mit ihrem anderem Bein, das sie um das Paddel herumlegen. Sie haben diese Technik entwickelt, weil der See mit Schilf bewachsen ist und eine sitzende Position es unmöglich macht, über das Schilf hinwegzusehen.
Für mich soll der Ort jedoch eine besondere Überraschung bieten. „Warst du schon im Golden Kite essen?“ fragt mich Sylvie, die hübsche Schweizerin, kurze Zeit nachdem ich mich zu ihr an den Frühstückstisch in unserer Pension gesetzt habe. Sie fügte gleich hinzu, daß es dort Pizza und Pasta gebe. Ich schüttele mit dem Kopf und werde die Vorstellung von einer weiteren Touristenfalle nicht los. Mein Omelett verliert an Geschmack und ich versuche mich mit einem kräftigen Schluck Kaffee auf andere Gedanken zu bringen.
„Nein wirklich!, Du kannst mir glauben. Ich habe lange in Italien gelebt, um zu wissen wie gute Pasta schmeckt. Schau dir meine Hüften an.“ Ich kann nichts sehen und meine Skepsis bleibt. Es sind letztendlich andere Gründe warum ich einwillige und mich mit ihr zum Abendessen im Golden Kite verabrede.
Wir treffen uns am Abend und kurze Zeit später, nachdem wir uns auf die mit Kerzen beleuchtete Veranda des Restaurants setzen, erscheint ein Kellner, reicht uns zwei Karten und eröffnet mit einem Charme, daß jeden Mâitre d’hôtel vor Neid erblassen lassen würde: „Guten Abend und willkommen im Golden Kite. Darf ich ihnen erklären, daß wir nur ganz frische Zutaten verwenden. Wir produzieren unsere eigene Pasta, die Tomaten und unser Basilikum für das Pesto sind lokale Produkte vom Inle See. Den Schinken bekommen wir aus Australien, den Mozzarella aus Dänemark und die Pilze kommen aus der nördlichen Region des Shan Staates. Und wenn sie möchten, zeige ich ihnen gerne unseren Holzkohlenofen für die Pizza und unsere Küche.“
Das lasse ich mir nicht zwei mal sagen und folge dem Kellner bereitwillig. Er führt mich zum Holzkohlenofen, öffnet jeden Kühlschrank in dem die frischen Produkte aufbewahrt werden und dann, ich kann es kaum glauben, präsentiert er mir stolz eine echte italienische Pastamaschine. „Wo haben sie die denn her?“ frage ich ihn unglaubwürdig. „Die haben wir von unserer italienischen Lehrerin aus Italien geschickt bekommen. Sie hat uns gezeigt wie die Pasta hergestellt wird und die Zutaten verarbeitet werden. Nach ihrer Rückkehr hat sie uns die Pastamaschine geschickt. Von ihr haben wir alles gelernt.“
Plötzlich höre ich meinen Magen knurren und finde, daß es Zeit für die Bestellung ist. Höchste Zeit. An dieser Stelle ist es überflüssig zu erwähnen, wo ich die nächsten drei Tage zu Mittag und Abend gegessen hatte.
Wer hat überhaupt noch mal behauptet, daß Marco Polo die Pasta aus Asien nach Italien importiert hätte? Es ist doch ganz klar anders herum!
Stefano Paterna, 22.11.2013
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1 Comment
Sehr schöne Anekdote! Hätte ich das mal gewusst mit dem Golden Kite. Ist man länger in Asien, kann einem italienisches Essen ganz schön fehlen!